3 FOTOGRAFEN
3 POSITIONEN
um 1900
zusammengestellt von Willi Pechtl
Ausstellung vom 25. Juni - 2. Oktober 2010
Eröffnung: Donnerstag, 24. Juni, 20 Uhr
Anton GRATL
1838 - 1915
Buchbinder, Fotograf, Verlagsgründer
Adolf MIETHE
1862 - 1927
Erfinder, Pionier der Farbfotografie, Weltreisender
Josef SCHÖPF
1886 - 1915
Flickschuster, Mesner, Fotograf
Diese Ausstellung stellt drei ganz unterschiedliche Fotografen, welche im Tiroler Oberland in der Zeit um 1900 tätig waren, gegenüber: Den Landschaftsfotografen und Verlagsgründer Anton Gratl, den Fotopionier, Künstler, Chemiker und Physiker Dr. Adolf Miethe, ein Wegbereiter der Farbfotografie, und den Pitztaler Bauernfotografen Josef Schöpf.
Nur durch die kontinuierliche Fotoforschung von Willi Pechtl sind Dichte und Qualität der frühen Fotografen im Tiroler Oberland überhaupt erkannt und auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden. Willi Pechtl hat die Ausstellung im Ballhaus zusammengestellt. Sie ist das Ergebnis seiner mehr als dreißigjährigen Sammlungstätigkeit und Forschung über die frühen Tiroler Fotografen. Seiner Arbeit verdanken wir, dass die in der Ausstellung gezeigten Raritäten - unter anderem Originale aus dem Nachlass von Adolf Miethe - überhaupt erhalten geblieben sind und nun in Imst teilweise erstmals öffentlich gezeigt werden können.
ZU DEN FOTOGRAFEN:
ANTON GRATL (1863 – 1915)
Buchbinder
Fotograf
Verlagsgründer
Anton Gratl war Gründer des Fotoverlags Gratl (1863 – 1999) und besaß im Laufe der Zeit 4 Fotografengeschäfte in Innsbruck, zuletzt in der Maria-Theresienstrasse.
Sein Werk umfasst hervorragende Fotodokumentationen, die einen wesentlichen Beitrag zur Fotokultur des Landes darstellen. Von Anton und seinem Sohn Fritz Gratl, der das Fotogewerbe von seinem Vater übernommen hatte, stammen auch die bekannten frühen Darstellungen der Imster Fasnacht.
In der Zeit des frühen Alpinismus ist die Nachfrage nach Abbildungen der Landschaft stark gestiegen. Früh erkannte Anton Gratl Tirols zukünftige Bedeutung als Fremdenverkehrsland und war einer der ersten in Nordtirol, der durch die Herstellung ganzer Serien von Trachtenbildern, Ansichten von Orten und Landschaften eine Verbreitung der Aufnahmen weit über unser Land hinaus garantierte.
Er hatte ein offenes Auge für die vielfältigen Naturschönheiten und verstand es, technisch brillante Abbilder zu gestalten. Durch das Versenden der damals aufkommenden Ansichtskarte machte er international auf Tirol und dessen Besonderheiten aufmerksam.
Sein Arbeitsgebiet erstreckte sich von Oberbayern bis nach Triest und Venedig, Dalmatien und Herzegowina. Von Salzburg bis in die Schweiz reichte sein Betätigungsfeld während des Baus der Arlbergbahn.
Anton Gratl starb am 25. April 1915.
Sein Sohn Fritz Gratl trat um 1900 die Nachfolge an, nachdem er bereits seit 1885 in der Firma prägend mitgewirkt hatte.
In der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum befindet sich eine Auflistung der lieferbaren Gratl-Titel. Darin sind von Imst 11, vom Pitztal 47 und vom Ötztal circa 127 Aufnahmen registriert.
Überraschend ist, dass sich der Firmenname Gratl trotz verschiedener Eigentümer über 137 Jahre lang erhalten hat. Am 30. Sept. 1999 wurde die Firma endgültig geschlossen.
DR. ADOLF MIETHE (1862 – 1927)
Erfinder
Pionier der Farbfotografie
Weltreisender
Adolf Miethe wird am 25.2.1862 in Potsdam geboren. Er wächst in bürgerlichen Verhältnissen auf, der Vater betreibt eine Schokoladenfabrik, die Mutter ist Schriftstellerin.
Im Alter von 16 Jahren entdeckt er sein Interesse an der Fotografie. Das Geheimnis dieser Technik übt eine magische Wirkung auf in aus.
Miethe selbst schreibt dazu: „ Es war wohl viel mehr die rege Anteilnahme am Verfahren selbst mit seinem geheimnisvollen, schwarzkünstlerischen Schimmer, das mich anzog.“
Nach dem Abitur studiert er Physik, Astronomie und Chemie in Berlin und anschließend in Göttingen, wo er 1889 mit der Arbeit „Zur Actinometrie photographisch-astronomischer Fixsternauf-nahmen“ zum Dr. phil promoviert.
Mit der Berechnung optischer Linsen lenkt Miethe bald die Aufmerksamkeit der Industrie auf sich. Der Chemiker Gaedecke und Miethe erdenken gemeinsam das Magnesiumblitzlicht, eine Erfindung, die sensationell einschlägt. Miethe baut Mikroskope, konstruiert Optiken für die optischen Industrien.
1891 wird er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Industrieanstalt Schulze und Barthels in Rathenow und entwickelte dort Fernrohre und Gläser für zivile und militärische Zwecke. In dieser Zeit errechnet er auch die ersten in der Praxis eingeführten Teleobjektive.
1892 reist Miethe zur Eröffnung der Braunschweigerhütte an und fotografiert im Pitztal. Der Pitztaler Fotograf Josef Schöpf hat Adolf Miethe in St. Leonhard kennen gelernt und mehrmals fotografiert.
Seit 1894 ist Miethe Mitarbeiter und bald auch Direktor bei Voigtländer & Sohn in Braunschweig. Hier beschäftigt ihn vor allem die Errechnung hochwertiger photographischer Objektive. Miethe konstruiert Marinegläser und Zielfernrohre und entwickelt ein erstes Teleobjektiv.
1899 erhält er einen Lehrstuhl für Fotochemie und Spektralanalyse an der Königlich-Technischen Hochschule zu Berlin.
Sein großes Interesse an der Astrofotografie macht ihn zum Teilnehmer mehrerer Expeditionen: 1908 untersucht er auf einer Expedition nach Oberägypten Dämmerungserscheinungen und das ultraviolette Ende des Sonnenspektrums, 1910 ist er Begleiter der Zeppelinmission nach Spitzbergen, 1914 leitet er eine Sonnenfinsternisexpedition nach Nord-Norwegen.
Adolf Miethe ist Herausgeber mehrerer Zeitschriften und Bücher und verfasst an die 100 Artikel zur Fotografie Von ihm stammt unter anderem das fotografische Standardwerk „Grundzüge der Photographie“.
1889 übernimmt er die Redaktion des Photographischen Wochenblattes und gründet 1894 die Fachblätter „Atelier des Photographen“ und „Photographische Chronik“.
1927 verstirbt Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Adolf Miethe nach kurzer Krankheit und Operation in Berlin.
Die Entwicklung der Fotografie zwischen 1887 – 1927 ist untrennbar mit dem Weltbürger und Wissenschaftler Adolf Miethe verbunden. Miethe konstruierte eine Kamera zur Dreifarbenfotografie nach der Natur, die vom Berliner Kunsttischler W. Bermpohl gebaut wurde.
Bei diesem Verfahren wird ein Motiv auf drei verschieden Schwarzweißfotoplatten aufgenommen, denen jeweils eine Farbfilterplatte in Rot, Blau und Gelb vorgesetzt ist. Von den Aufnahmen werden Positive ausgefertigt, die durch den gleichen Farbfilter, durch den sie aufgenommen wurden, projiziert werden. Durch Überblendung entsteht dabei ein Farbbild.
Die „Dame mit dem roten Sonnenschirm“, von Miethe 1902 veröffentlichte, gilt als erste Porträtaufnahme in natürlichen Farben.
Vom 9. Juni bis 25 Juli 2010 ist im Kulturzentrum Rathenow (Berlin) eine Miethe-Ausstellung zu sehen.
BÜCHER von ADOLF MIETHE:
Zur Actinometrie astronomisch-photographischer Fixsternauf-nahmen, Göttingen 1889 (Dissertation)
Taschen-Kalender für Amateur-Photographen, 1890–1895
Photographische Optik ohne mathematische Entwicklungen, Berlin 1893
Grundzüge der Photographie, Halle/Saale 1893
Lehrbuch der praktischen Photographie, Halle/Saale 1896 (4 Auflagen)
Vorlage-Blätter für Photographen, Halle/Saale 1897-1903
Dreifarbenfotografie nach der Natur, 1904 (2 Auflagen)
Die geschichtliche Entwicklung der farbigen Photographie, Berlin 1905
Photographische Aufnahmen vom Ballon aus, Halle/Saale 1909 (2. Auflage als Die Photographie aus der Luft, Halle/Saale 1916)
Die chemische Wirkung des Lichtes, in: Der Mensch und die Erde, Bd. 7, S. 320–384, Berlin 1911
Mit Zeppelin nach Spitzbergen, Berlin und Leipzig 1911
Naturwissenschaftliche Plaudereien. 25 Essays aus dem Zeitraum eines Vierteljahrhunderts, Berlin 1914
Künstlerische Landschaftsphotographie, Halle/Saale 1919
Das ABC des Lichtbildners, Halle/Saale 1920
Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert, 6 Bände, Braunschweig 1911–1921:
Band 1: Die Gewinnung der Rohmaterialien, 1911
Band 2: Die Verarbeitung der Rohstoffe, 1912
Band 3: Die Gewinnung des technischen Kraftbedarfs und der elektrischen Energie, 1912
Band 4: Das Verkehrswesen, die Großfabrikation, 1912
Band 5: Bauingenieurwesen, Küstenbefeuerung, Luftbilderkundung, 1920
Band 6: Die Technik im Weltkriege, 1921
Die Selbstherstellung eines Spiegelteleskops (Basteln- und Bauen-Bücherei), Stuttgart 1920 (3 Auflagen)
Unter der Sonne Ober-Ägyptens, Berlin 1922
Die Dame mit der Kamera, Berlin 1925
Das Land der Pharaonen. Ägypten von Kairo bis Assuan, Bonn und Leipzig 1925
Spitzbergen, das Alpenland im Eismeer. Sommerfahrten u. Wanderungen, Berlin 1925
JOSEF SCHÖPF (1886 – 1915)
Flickschuster
Mesner
Fotograf
Josef Schöpf, der als Brotberuf das Schusterhandwerk erlernt hatte, wuchs am Schrofenhof oberhalb der Kirche von St. Leonhard im Pitztal unter einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater war Fellhändler, der aufgrund wirtschaftlicher Turbulenzen und des starken Preisverfalles verarmt war. Schon früh waren die Kinder deshalb zur Mitarbeit gezwungen.
Obwohl Josef Schöpf mit äußerst bescheidenen Mitteln arbeitete, sind seine Fotografien von erstaunlicher technischer und künstlerischer Qualität.
Der Gründer des Fotomuseums in Bad Ischl, Professor Hans Frank (1908 – 1987), war begeistert von Schöpfs Aufnahmen, er meinte, was Schöpf gemacht habe, sei Wesentliches in der Fotografie.
„Bei Aufnahmen, wie Schöpf sie machte, besonders bei solchen, bei denen einfache Leute abgebildet waren, traten Erwerbskriterien ganz in den Hintergrund. Die Fotografen, die so arbeiteten, hatten ein Gespür, wie man mit Menschen umgehen muss. Sie haben Witze erzählt und einen «August» gemacht, erst dann haben sie auf den Auslöser gedrückt. Wenn unsereiner hingeht und sagt: «Stellen Sie sich auf!», wen wundert es dann, wenn alle stocksteif dastehen? Man muss eben mit den Leuten reden können, man muss eine Verbindung mit den Menschen haben. Deshalb ist diese Art der Fotografie etwas ganz Besonders.“ (Interview Willi Pechtl mit Hans Frank, 1985)
Bemerkenswert ist also die Verbindung Schöpfs zu den Menschen, welche in den Bildern offensichtlich wird, ein Städter, so Frank, hätte solche Aufnahmen nicht geschafft.
Nur durch die kontinuierliche Fotoforschung von Willi Pechtl sind die Dichte und die Qualität der frühen Fotografen im Tiroler Oberland überhaupt erkannt und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam geworden. In den Nachlässen dieser Fotografen finden sich immer wieder Aussendungen und fotografische Fachliteratur von Dr. Adolf Miethe. Dies ist ein Beleg dafür, dass auch die im Tiroler Oberland ansässigen Fotografen durchaus darum bemüht waren, sich ständig über technische Neuerungen am Laufenden zu halten.
Berührend sind einige private Aufnahmen, die der Flickschuster, Mesner und Fotograf Josef Schöpf von dem großen Fotopionier Adolf Miethe angefertigt hat. Miethe dürfte dreimal im Pitztal gewesen sein, 1892, 1898 und 1906.
Am 13. Juli 1898 fotografierte Miethe Schneeschuhläufer vor der Braunschweiger Hütte, wo sich der Fotograf Schöpf oftmals aufhielt. Schöpf war technisch sehr interessiert, er konstruierte etwa Fahrräder. Die ersten Fahrräder, die es im hinteren Pitztal gab, hat Schöpf aus Fahrradresten, die er in Imst zusammengetragen hat, und sogar aus Teilen alter Spinnräder zusammengebaut. Es haben sich Fotos erhalten, auf denen Schöpf und seine Freunde ihre Fahrräder sogar bis zur Braunschweiger Hütte mitgetragen haben, um übers Joch ins Ötztal zu kommen. Schöpf hat von Miethe unter anderem wohl auch Zielfernrohre erhalten, mit denen er und seine Freunde Schießübungen abhielten. Für diese fuhren sie mit dem Fahrrad sogar bis nach Trient.
Erst unlängst hat Willi Pechtl herausgefunden, dass Schöpf von Miethe nicht nur Fotomaterial und eine Kamera erhalten hat, sondern auch vom Fachwissen dieses großen Fotopioniers Nutzen gezogen und sehr profitiert hat. Denn bislang war es ein Rätsel, wie der praktisch mittellose Schöpf derart qualitätvolle Arbeiten hervorbringen konnte.
Willi Pechtl hat einen Teil des Miethe-Nachlasses von Charlotte Pfeifer aus München übernommen. Sie war die Enkelin des Geh. Oberbaurats Hans Pfeifer (1849 – 1933), der in Braunschweig als Architekt für den Denkmalschutz gewirkt hat. Im Auftrag des DuÖAV plante er die Braunschweigerhütte im hinteren Pitztal.
Oskar Schöpf, der zuletzt am Schrofenhof gelebt hat, berichtet über das Lebensende von Josef Schöpf: Demnach ist Josef Schöpf 1915 vom Krieg auf Genesungsurlaub nach Hause gekommen. Dort ist er jedoch der Wilderei nachgegangen, worauf ihn jemand bei der Gemeinde verraten hat. Folglich wurde er wieder in den Krieg einberufen und ist letztlich wenige Wochen später in Janovice (Galizien) im Alter von 28 Jahren durch einen Kopfschuss getötet worden.
LITERATURAUSWAHL:
Timm Starl (Hrsg.), Lexikon zur Fotografie in Österreich 1839 – 1945, Albumverlag, 2005.
Willi Pechtl, Photographie im Tiroler Oberland 1850 - 1950,o.J. (1987).
Willi Pechtl – Alfred Tamerl, Belichtet. Von zwei frühen Tiroler Photographen, 1989.
Willi Pechtl – Alfred Tamerl, Josef Schöpf: Flickschuster, Mesner, Photograph. Alltag im Pitztal, 1991.
Willi Pechtl (Hrsg.), Abbilder des Erhabenen. Photographische Annäherungen an die Ötztaler Alpen, Ausst. Kat. Turmmuseum Ötz, 2005.
Galerie zum alten Ötztal (Hrsg.), Pitztal. Kunst, Alpinismus, Photographie, 1995.
Willi Pechtl, Max Schreiber. Photoamateur – Fotoamatore, Innsbruck-Bozen, 2002.
Wilfried Schatz (Hrsg.), Derhuam. Gedichte in Oberländer Mundart von Karl Jais, Jakob Kopp und Martha Schatz, 1986.
Gertrud Pfaundler-Spat, Tirol – Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol, Neuauflage ²2006.