Brau uns den Zauber, in dem die Grenzen sich lösen
In seiner Ausstellung in der Städtischen Galerie Theodor von Hörmann in Imst paart Maurizio Bonato vermeintlich Unvereinbares und schafft spannende Gegensätze und Assoziationsketten, die die Betrachter*innen in Staunen versetzen. Ein Baum umarmt von einem jungen Menschen, dazu die Polizei und Demonstranten, auf der anderen Seite des Bildes die junge Marina Abramovic am Strand mit Luftballon … Dinge, die auf den ersten, oft auch auf den zweiten Blick nicht unbedingt zusammengehören. Bonato schafft es aber, sie in einem Kunstwerk zu vereinen und damit unaussprechliche, aber angedeutete Zusammenhänge herzustellen.
In meinen Bildern zeigt sich der Inhalt im Sprung oder im Zwischenraum zwischen den Bildteilen. Die Aussage des Bildes bleibt unaussprechbar. Das Nebeneinander der Bildteile weist auf den Zauber hin, auf etwas, das sich nicht aussprechen und vielleicht nur bildlich andeuten lässt. Dieses magische Etwas liegt im Unscheinbaren, Unsagbaren, Undefinierbaren …
Das rationale Wissen, die in Zahlen erfassten Erfahrungen, die in Worten übersetzten Wahrnehmungen dominieren das Bild unserer Zeit. Wir berechnen, bemessen und benennen alles und meinen damit die Dinge zu erschließen. Es scheint bislang gut zu funktionieren. Doch am Ende spüren wir, dass etwas fehlt, etwas, das sich unseren dem Rationalen gewohnten Sinnen entzieht.
Eine einfache Geste, die eine kindliche, verzauberte Auffassung der Dinge verbirgt; ein Hauch eines Tanzes zwischen Gefahr und Spiel; die Spannung zwischen Erotik und Andacht; der Zauber zwischen Leichtigkeit, Betroffenheit und Wagnis; die Gewissheit, mit der sich Ahnungen zutreffend manifestieren; das Wunder unscheinbarer Details um uns herum; die stetige, aber oft unbeachtete Wandlung der Dinge vor unseren Augen.
71.
(II)
Brau uns den Zauber, in dem die Grenzen sich lösen,
immer zum Feuer gebeugter Geist!
Diese, vor allem, heimliche Grenze des Bösen,
die auch den Ruhenden, der sich nicht rührte, umkreist.
Löse mit einigen Tropfen das Endende jener
Grenze der Zeiten, die uns belügt;
denn wie tief ist in uns noch der Tag der Athener
und der ägyptische Gott oder Vogel gefügt.
Ruhe nicht eher, bis auch der Rand der Geschlechter,
der sich sinnlos verringernden, schmolz.
Öffne die Kindheit und Schooße gerechter
gebender Mütter, daß sie, Beschämer der Leere,
unbeirrt durch das hindernde Holz
künftige Ströme gebären, Vermehrer der Meere
Muzot, 15.-17. Februar 1922, R.M. Rilke
Meine Bilder sind eine Zumutung. Ja, ich mute Zuschauern zu, dass sie fantasieren können – ausgehend von kleinen narrativen Andeutungen in den Bildern. Jede Deutung, Interpretation und Neuerzählung der Bilder, die dazukommt, ist richtig. Es gibt keine falschen Deutungen, nur weitere Möglichkeiten und Fortsetzungen. Die Bilder könnten schlicht und einfach kleine Initiationen hervorbringen.
"Du fängst eine Schneeflocke, aber kaum schaust du in deine Hand, ist sie nicht mehr da. Du kannst diesen Dechado (: Abdruck) vielleicht sehen. Aber bevor du ihn richtig siehst, ist er fort. Sichtbar ist er nur in seiner eigenen Umgebung. Fängst du ihn, hast du ihn schon verloren. Und von dort, wohin er verschwindet, gibt es kein Zurück. - Du kannst die Welt nicht anfassen. Du kannst sie nicht mit Händen greifen, den sie ist nur ein Hauch. ("Grenzgänger", Cormac McCarthy, S.50,51)
Maurizio Bonato, Innsbruck, Februar 2021
Diese Ausstellung wird gefördert/mit freundlicher Unterstützung von: